Wussten Sie schon, dass der Schwarzwald auf den Resten eines über 5.000 Meter hohen Gebirges steht und dass diese Reste heute noch zu sehen sind? Wussten Sie schon, dass dank einer Rebe aus Amerika und dem Erfindergeist unserer Winzer der Weinbau in der Region überhaupt überleben konnte? Und wussten Sie schon, dass unsere heimischen Nadelbäume wahre Wellness-Wunder sind? Nein? ... dann begleiten sie uns in die unbekannte Welt des nördlichen- und mittleren Schwarzwalds.
„Gerne möchten wir Ihnen einen Platz im kommenden Ausbildungskurs anbieten und freuen uns, Sie als einen von 20 zukünftigen Schwarzwald-Guides beim Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord begrüßen zu dürfen.“ so der Wortlaut der E-Mail-Nachricht, die im Juli 2021 auf meinem Bildschirm erschien.
Ich wischte mir die Augen und las nochmal was dort stand. „Meinen die wirklich mich?“. Ich konnte es kaum glauben. Klar, ich hatte zwei Monate zuvor meine Bewerbung beim Naturpark eingereicht. Da ich aber bisher keinerlei Erfahrungen im Bereich der Natur- und Wanderführung besaß, rechnete ich mir jedoch kaum Chancen aus, einen der begehrten Ausbildungsplätze zum Schwarzwald-Guide zu ergattern. Ein Gefühl unglaublicher Freude überkam mich. Ich konnte es kaum erwarten, bis es losging. Die Eröffnungsveranstaltung war auf Ende Oktober datiert. Eine unglaublich lange Zeit. Dabei würde ich so gerne schon früher anfangen, am Besten jetzt, sofort! Leider gab es kein Erbarmen, ich musste mich einfach noch gedulden.
Ebenfalls kein Erbarmen zeigte das Corona-Virus. Nachdem es sich im Sommer ziemlich rar gemacht hatte, kam es im Herbst wieder zurück und zeigte uns, wer hier das sagen hat. Da die VHS in Freudenstadt mit der Ausbildung der Schwarzwald-Guides betraut war, hätte dort auch die Auftaktveranstaltung sowie die theoretischen Unterrichtseinheiten stattfinden sollen. Die steigenden Inzidenzzahlen verbannten uns jedoch alle mitsamt dem theoretischen Ausbildungsblock ins Netz. Online-Schulung per Zoom stand nun auf dem Stundenplan und so sollte es bis im Frühjahr 2022 auch bleiben. Als Berufstätiger kam mir diese Änderung im Ablauf jedoch nicht ganz ungelegen. Seit Beginn der Pandemie spielten sich die meisten Begegnungen mit Menschen außerhalb der Familie eh fast nur noch im Internet ab. Das Schachbrettmuster mit den vielen quadratischen Personen die über den Bildschirm flimmern, vermittelte mir bereits ein Gefühl der Vertrautheit. Ganz pragmatisch gedacht, sparte ich mir auch die abendliche Fahrt nach Freudenstadt. Mein Bedauern über den gestrichenen Präsenzunterricht hielt sich also in Grenzen.
Dennoch war ich vor der Auftaktveranstaltung etwas aufgeregt. „Was sind das für Menschen, die außer mir noch diesen Kurs belegen?“ ging es mir durch den Kopf. Mein inneres Auge projizierte mir Meschen in seltsamen Uniformen die an kanadische Mounties erinnern ins Bewusstsein, die anders als ich selbst, schon bestens über die Inhalte der Ausbildung Bescheid wissen. Ich schob diese Bilder schnell beiseite und trat dem Online-Meeting bei. Nach und nach ploppten die Fenster der Teilnehmer auf. Es schienen ganz normale Menschen zu sein. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Halt – die hier kenne ich doch. Das ist doch Melanie aus Calw. Das gibt es doch nicht, wie kommt die nur auf die Idee Schwarzwald-Guide werden zu wollen? Die hätte ich ganz anders eingeschätzt. Ein Blick auf das vertraute Gesicht im quadratischen Fenster verriet mir, dass Melanie wohl dieselben Fragen im Hinblick auf mich durch den Kopf gingen. Wir hatten seit einigen Jahren geschäftlich miteinander zu tun und haben es dabei wohl versäumt darüber zu sprechen, dass wir eine gemeinsame Leidenschaft zum Schwarzwald teilen. Doch das vertraute Gesicht tat gut. Ich fühlte mich nun nichtmehr ganz so alleine. Zudem war es im Hinblick auf zukünftige Fahrgemeinschaften natürlich auch sehr praktisch.
Die Auftaktveranstaltung begann. Wir wurden alle herzlich begrüßt und die bevorstehenden Ausbildungsmodule wurden uns vorgestellt. Wir erfuhren vieles über die Hintergründe und Ziele der Ausbildung, sowie die Aufgaben, die uns in unserem späteren Alltag als Schwarzwald-Guides erwarten. Ich selbst linste die ganze Zeit auf die kleinen Fenster und versuchte zu deuten, was in den Köpfen der anderen Teilnehmer wohl vorgeht. Ich ertappte mich selbst, dass mein Interesse an meinen Kommilitonen wohl größer war als erwartet. „Was sind das für Menschen?“ stellte ich mir wieder die Frage. Doch eine leidliche Erfahrung musste ich in den zahlreichen Online-Meetings, die uns Corona aufgezwungen hatte in der Vergangenheit bereits machen. Zoom & Co. scheinen elektronische Filter zu besitzen, die unserer Mimik sämtliche Fähigkeit zur Interpretation entziehen. Wir gleichen einer Schar Handpuppen, denen ein interessiert schauendes, aber ansonsten emotionslos dreinschauendes Gesicht aufgemalt wurde.
Meine Erkenntnis nach dieser ersten Veranstaltung war, dass ich erstens unbedingt mit Melanie Kontakt aufnehmen muss um zu erfahren, wie in aller Welt sie dazu kommt, Schwarzwald-Guide werden zu wollen und zweitens, dass es ansonsten wohl ein sehr einsamer Kurs, abends alleine vor dem Rechner wird. Nicht, dass dies grundsätzlich ein Problem für mich dargestellt hätte. Corona hat uns oft genug gelehrt, die Dinge so zu anzunehmen wie sie sind. Aber irgendwas fühlte sich komisch an, ich wusste nur noch nicht genau was.
Die Woche darauf ging es weiter. Diesmal stiegen wir endlich in die eigentliche Ausbildung ein. Auf dem Stundenplan stand „Planung einer Wanderung“, als Dozent wurde ein Dr. Megerle genannt. Ich fragte mich, was das wohl für ein Mensch ist, der die Mühen einer Promotion auf sich nimmt, nur um am Ende eine Wanderung planen zu können. Mein innerer Projektor schaltete sich abermals ungefragt ein und setzte mir ein Bild eines älteren Herren in einem aus der Mode gekommenen Tweed-Anzug und schiefer Krawatte vor, der danach aussah, dass er vielleicht eine Wanderung planen kann, aber selbst vermutlich schon längere Zeit keinen Fuß mehr vor die Türe gesetzt hat. Nach einem Plopp, erschien eine Person auf dem Bildschirm, die mich an den freundlichen Bademeister im Schwimmbad um die Ecke erinnerte und der irgendwie irritiert in die Kamera schaute. Der Bademeister stellte sich uns als Dr. Megerle vor und seine Irritation schien darin begründet, dass er sich in diesem neuen Online-Format sichtlich unwohl fühlte, was ihm meinerseits gleich einige Sympathiepunkte einbrachte. Herr Dr. Megerle hatte eine grandiose Idee. Er wollte, dass wir uns alle kurz einmal vorstellen. Das war genau nach meinem Geschmack. Endlich bekamen die vielen Quadrate einen Namen und sogar eine Geschichte. So erfuhr ich zumindest mal, woher die anderen alle stammten. Es zeigte sich, dass die Kursteilnehmer aus dem gesamten Naturpark kamen, was mich wiederum sehr neugierig machte. Ich bin viel und oft im Naturpark unterwegs und habe einige Orte aufgrund ihrer Schönheit regelrecht ins Herz geschlossen. Nur wenn man aus diesem Ort niemand kennt, fühlt man sich immer ein bisschen wie ein Tourist, egal wie oft man schon dort war. Es gibt Dinge wie das Lebens- und Heimatgefühl, die können einem nur die Menschen die in diesem Ort leben vermitteln. Und nun sah ich die Möglichkeit, einige dieser Menschen näher kennenzulernen. Das war unheimlich spannend für mich. Zuvor mussten wir uns aber erstmal von unseren Zoom-Fesseln befreien.
Doch das zog sich leider wie Kaugummi. Herr Dr. Megerle wurde in den folgenden Wochen zu unserem Mittwochabend-Begleiter. Wie sich herausstellte, hatte er nicht promoviert und eine Wanderung planen zu können, sondern um ein ausgewiesener Experte in Geologie zu werden. Und wie es Experten zu tun pflegen, erzählte er uns viel über die Dinge die er weiß. In diesem Fall Geologie – sehr viel Geologie. Wir ackerten uns durch 500 Millionen Jahre Erdgeschichte, erklommen das Variskische Gebirge, durchquerten die Wüsten der Trias und tauchten ein in die Tiefen des Muschelkalkmeeres. Kurz vor Weihnachten qualmte uns allen der Kopf, als uns Dr. Megerle zwei Pflichtlektüren mit in die Feiertage gab, die all das Gelernte nochmals wiederholten. Ich konnte jeden verstehen, der erstmal eine Weile nichts mehr von Steinen wissen wollte. Mir ging es nicht so. Ich hatte regelrecht Blut geleckt und wollte mehr über das Thema erfahren.
Nachdem ich die Pflichtlektüren in zwei Nachtschichten verschlungen hatte, machte ich mich am ersten Januar 2022 auf den Weg zur „Großen Teufelsrunde“ in Bad Herrenalb. Hier wollte ich mein frisch erlerntes Wissen in der Praxis erproben. An kaum einem Stein kam ich vorbei, ohne ihn genau in Augenschein zu nehmen. Jedoch musste ich feststellen, dass zwischen Theorie und Praxis mindestens ein kleines Muschelkalkmeer liegt. Diese verflixten Steine ließen sich einfach nicht so bestimmen, wie sie sollten. Da ich nicht alle mitnehmen konnte, entschied ich mich, sie abzufotografieren. Wieder zuhause, schrieb ich Dr. Megerle eine ellenlange E-Mail mit zahlreichen Abbildungen meiner gesammelten Steine, die ich mit meiner vermuteten Bestimmung versah. „Der wird mir nie antworten, der denkt höchstens, dass du total verrückt bist“ dachte ich mir. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. In einer nicht minder ellenlangen E-Mail erklärte mir Dr. Megerle alle Steine, nannte mir Hilfsmittel zur Bestimmung im Internet und ermutigte mich genauso weiterzumachen wie bisher. Das Bestimmen von Gesteinen sei reine Übungssache und mit jedem Mal würde es mir leichter fallen. In nahm ihn beim Wort. Und er bekam noch sehr viele E-Mails von mir, die er alle immer sofort und ausführlich beantwortete. Das rechne ich ihm bis heute sehr hoch an.
Das Jahr 2022 begann mit einer Ausbildungspause, in der wir erstmal etwas durchschnaufen konnten. Genau in dieser Pause, überkam mich die Panik. In den zuvor absolvierten Unterrichtseinheiten erfuhr ich vieles über meine Kommilitonen. Vor allem erfuhr ich, was sie alles wussten, was ich nicht weiß. Ob Umweltpädagogik, Heilpflanzenkenntnis oder Wanderführererfahrung – es war von allem etwas dabei. Und ich? Nun, ich konnte damit aufwarten, dass ich gerne und viel im Schwarzwald unterwegs bin. Und ich durfte für den Naturpark vor zwei Jahren eine Karsee-Broschüre umsetzen, wodurch ich mich in diesem Thema einigermaßen gut auskannte. Aber sonst? Ich brauchte schnell einen Plan um meinen Wissensrückstand wenigstens etwas aufzuholen. Und dieser Plan war, einfach mal andere Schwarzwald-Guides bei Ihnen Touren zu begleiten. Gesagt getan. Ich startete bei Thomas Bühler in Nagold. Auf dem Weg dorthin überlegte ich mir, ob ich mich als „angehender Schwarzwald-Guide“ zu erkennen gebe oder ob ich einfach als Gast mitgehen sollte. Da ich mich nicht gerne verstelle entschied ich mich für ersteres und stellte mich Thomas vor. Er war gleich unheimlich angetan und war sehr engagiert, mir während unserer Tour viele Tipps aus seinem Erfahrungsschatz zu geben. Einer der wichtigsten Ratschläge die ich gelernt habe, stammt von ihm: „Deine Gäste müssen sich immer gut unterhalten fühlen“. Die Tour mit Thomas hatte mich so motiviert, dass ich gleich für den nächsten Tag eine Tour bei Roswitha Hild gebucht habe. Auch Roswitha gegenüber gab ich mich zu erkennen und auch sie nahm mich freundlich an die Hand um an ihrer Erfahrung teilhaben zu können. Ich bin den beiden wirklich sehr dankbar. Denn sie haben mir von Anfang an das Gefühl gegeben dazu zu gehören, auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal die Hälfte meiner Ausbildung absolviert hatte. Doch mein Defizit an Wissen ließ nicht zu, dass ich mich ausruhte. Also durchforstete ich das Internet nach Angeboten, die meine Ausbildungsinhalte sinnvoll ergänzen. Dann ging es Schlag auf Schlag. Der Teinachtaler Revierförster Frank Lindenberger erzählte mir bei einer Führung vieles über den heimischen Forst, der renommierte Wolfsexperte Peter Sürth verschaffte mir faszinierende Einblicke in das Leben der Wölfe und Luchse, Heiderose Rentschler vermittelte mir allerhand Wissenswertes über Wildkräuter und im Nationalpark erfuhr ich einiges über das Leben wilder Honigbienen. In meinem Auto liefen Hörbücher über die Heilwirkung von Wildpflanzen und über historische Berufe wie Imkerei und Flößerei. Ich saugte auf, was nur ging und was ich zeitlich irgendwie hinbekam, bis ich mich irgendwann gegenüber meinen Kommilitonen nichtmehr ganz so unterlegen fühlte. Und dann kam er – der erste Praxistag, an dem wir uns zum ersten Mal sehen würden.
Neuer TextRoger aus Baiersbronn, einer der Kursteilnehmer, absolvierte nicht nur selbst die Ausbildung zum Schwarzwald-Guide, sondern er war auch einer unserer Dozenten. Und er war nicht irgendein Dozent – nein, er war der Dozent in dessen Kurs wir uns alle das erste Mal persönlich trafen. Als ausgebildeter Rettungsassistent unterrichtete uns Roger in Erster Hilfe. Nicht irgendeine Erste Hilfe, sondern Erste Hilfe für Schwarzwald-Guides. Im Wesentlichen unterschied sich das von einem herkömmlichen Erste-Hilfe-Kurs darin, dass es darum geht, welche Gefahren uns draußen im Schwarzwald erwarten können, wie wir sie nach Möglichkeit vermeiden und wie wir damit umgehen, wenn sie sich nicht haben vermeiden lassen. Also was ist nach einem Kreuzotterbiss, einem gebrochenen Knöchel oder einem allergischen Schock nach einem Insektenstich zu tun. Da Roger lange Jahre in der Nationalparkregion als Rettungssanitäter im Einsatz war, wusste er zu allen Themen allerlei haarsträubende Geschichten zu erzählen. Er war an diesem Tag genau der richtige Mann am richtigen Ort. Denn durch seine lockere Art brach er gleich von Anfang an das Eis und wir verstanden uns von Stunde zu Stunde immer besser. Jetzt war mir auch klar, was bislang gefehlt hatte. Die Gesichter haben sich endlich aus ihrem quadratischen Zoom-Fensterchen befreit und sind zu richtigen Menschen, mit richtiger Ausstrahlung und mit einem richtigen Charakter geworden. Und diese Menschen waren weit faszinierender als ich es mir hätte ausmalen können. An diesem Tag hat die Ausbildung einen Wendepunkt vollzogen. Aus einem reinen „Erlernen von Stoff“, und sei er noch so interessant, wurde „Quality Time mit lieben Menschen“. Das eigentliche Lernen stand nichtmehr im Vordergrund, sondern die Zeit, die wir gemeinsam verbringen würden. Ich bin der Meinung, dass wir gerade aus diesem Grund, besonders viel gelernt haben. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Und dieser Schatten war kalt – sehr kalt.
Die kommenden Ausbildungssamstage verlangten uns einiges an Wetterfestigkeit ab. Mit Schwarzwald-Guide Karl Keller ging es nach Gengenbach um dort in Wein- und Obstbau unterrichtet zu werden. Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, eisiger Wind und gelegentlicher Graupelschauer ließen uns nur mit sehr viel Phantasie daran glauben, dass hier gerade der berühmte Ortenauer Riesling heranwächst. Dennoch habe ich diesen Tag rückblickend als sehr schön in Erinnerung. Denn wir taten zum ersten Mal das, was Schwarzwald-Guides am liebsten tun – wir wanderten zusammen. Und während wir wanderten, kam man mit dem ein oder der anderen ins persönliche Gespräch. Man erfuhr mehr übereinander und hatte die Möglichkeit mehr über sich selbst zu erzählen. Während unseres Streifzugs durch die Gengenbacher Reben stellte sich Kommilitonin Melanie aus Oberkirch als ausgebildete Wein-Guide vor und assistierte Karl Keller fortan mit ihrer herausragenden Expertise. Am Nachmittag besuchten wir den Armbrusterhof in Berghaupten. Frau Armbruster führte uns in die Welt der Wildkräuter und -pflanzen ein. Sie tat das mit solch einer Fachkenntnis und Vermittlungskompetenz, dass ich völlig begeistert war. Beide, Melanie und Frau Armbruster, ließen mich selbst plötzlich wieder ganz klein erscheinen. Nicht nur weil ich erkannte, dass es mir bislang an einer Spezialisierung auf ein bestimmtes Themengebiet mangelte, sondern auch, weil ich mir nicht vorstellen konnte, andere Menschen mit Worten jemals so fesseln zu können wie diese beiden Frauen. Ich brauchte also dringend ein Spezialgebiet und ich brauchte dringend eine Gelegenheit auszuprobieren, wie ich als Wanderführer auf andere Menschen wirke.
Am darauffolgenden Ausbildungssamstag gehörten wir voll und ganz Dr. Megerle. Einige Tage vor dem Ausbildungstag, wurde uns von der VHS in Freudenstadt mehrere Scripte mit der dringlichen Bitte von Dr. Megerle übermittelt, diese bis zum Ausbildungstag zu studieren. Die meisten von uns, mich eingeschlossen, verstanden noch nicht mal die Anfahrtsbeschreibung zu den jeweiligen Treffpunkten. Und wieder zeigte uns das Wetter, dass im April im Schwarzwald durchaus sibirische Kälte herrschen kann. Doch das Beste kam noch. Ich weiß nicht wie Dr. Megerle es geschafft hat, soviel Programm in einem Tag unterzubekommen ohne das es im totalen Chaos endet. Dieser Tag war anstrengend, dieser Tag war fordernd, dieser Tag ließ uns am Schluss fast alle auf dem Zahnfleisch daherkommen. Dennoch war dieser Tag absolut genial. In mir formte sich mehr und mehr mein Spezialgebiet, das ich als späterer Schwarzwald-Guide gerne begleiten möchte: Geologie.
Ich möchte meine eigenen Touren also gerne mit dem Schwerpunkt Geologie anbieten, da war ich mir nun sicher. Doch wie sollte das später einmal ganz konkret aussehen? Nun, ich beschloss dazu erstmal die GeoTouren in meiner Heimatregion zu erkunden. Diese werden durch eine sehr detaillierte Beschreibung in Form einer Broschüre beschrieben und man kann sich dadurch sehr gut selbständig zurechtfinden. Als Calwer begann ich natürlich mit der Calwer GeoTour. Ich hatte schon viel davon gehört, allerdings bin ich sie noch nie gelaufen. Das wiederum bereute ich danach, denn die Tour gefiel mir sofort unheimlich gut. Das lag auch an meiner neuen Wahrnehmung, die ich erlernt hatte. Die Erdgeschichte lag plötzlich vor mir, wie ein offenes Buch in dem ich einfach so blättern konnte. Daraufhin bin ich auch noch die anderen GeoTouren im Nagoldtal und den angrenzenden Tälern abgelaufen und alle haben mich sehr begeistert. Aber die Calwer GeoTour gefiel mir am besten, da sie mir einfach am Vielseitigsten erschien. Eine Führung auf dieser GeoTour wird bereits von einem Schwarzwald-Guide angeboten. Es lag also nahe, mich mit diesem Schwarzwald-Guide namens Kurt Pfrommer einmal in Verbindung zu setzen, um mit ihm gemeinsam diese Tour zu laufen. Zufälligerweise ergab sich dazu recht schnell die Gelegenheit. Auch Kurt gegenüber gab ich mich als angehender Schwarzwald-Guide zu erkennen und ging sogar noch einen Schritt weiter, in dem ich Interesse bekundete, auf dieser Tour zukünftig ebenfalls Führungen anzubieten zu wollen, wenn das für ihn in Ordnung geht. Kurt war unheimlich großzügig. Zu einem teilte auch er seinen großen Erfahrungsschatz mit mir und nahm mich an die Hand. An diesem Tag waren zwei weitere Gäste dabei und Kurt überließ mir sogar hin- und wieder das Zepter, so dass ich die Gelegenheit bekam, zu schauen wie ich auf Gäste wirke, während ich ihnen etwas vermittle. Das war die Erfahrung die mir bislang gefehlt hatte und die mir das notwendige Selbstvertrauen gab, um später Gäste selbst führen zu können. Dazu räumte Kurt mir die Möglichkeit ein, die Führungen auf Calwer GeoTour mit ihm zu aufzuteilen. Ich bin ihm unheimlich dankbar für seine Großzügigkeit und seine Unterstützung. Er ist für mich ein echtes Vorbild als Schwarzwald-Guide.
Nun hatte ich also ein Spezialgebiet, ich hatte das notwendige Selbstvertrauen Gäste führen zu können und ich hatte sogar schon eine Tour. Die Sache begann langsam rund zu werden. Doch eines fehlte mir trotz alledem noch. Eine ganz eigene Idee die ich verwirklichen konnte, etwas, was es so noch nicht gibt. Die Calwer GeoTour fasziniert mich und ich bin sehr glücklich und dankbar, dass ich hier bald Gäste führen darf. Aber die Idee zu dieser Tour hatte ursprünglich Dr. Megerle, der Erfinder der GeoTouren. Eine von mir selbst konzipierte Tour würde mir wiederum die Möglichkeit bieten, dieser einen ganz persönlichen Charakter zu verleihen. Das wäre neben der Pflicht, die Kür. Doch zuerst galt es, noch ein paar Dinge zu lernen.
Am nächsten Ausbildungssamstag führte uns Olfert Dorka ins Christophstal um uns dort etwas über Gewässer zu erklären. Zum ersten Mal betraten wir dabei unser späteres Prüfungsterrain. Denn die praktische Prüfung sollte genau dort stattfinden. Es hat sich also angeboten, die Augen etwas genauer aufzumachen um nach „Christophstaler-Phänomenen“ Ausschau zu halten. Neben dem eigentlichen Gewässerthema vermittelte uns Herr Dorka die Bedeutung von Entschleunigung, Ruhe und Ausgeglichenheit. Das war zuerst etwas befremdlich für uns, hatten wir doch zuvor mit Dr. Megerle einen geologischen Iron Man-Wettkampf hinter uns gebracht. Herr Dorka bat uns dagegen uns auf den Boden zu setzen, um einfach nur die auf uns wirkende Energie der Natur zu spüren. Doch gerade diese Kontraste machten die Ausbildung so interessant und jeder von uns fühle sich bei den unterschiedlichen Themen mal mehr und mal weniger abgeholt.
Der nächste Ausbildungstag führte uns in den Nationalpark Schwarzwald, wo uns Patrick Stadler die Besonderheiten dieses Naturschutzgebiets näherbrachte. Mich persönlich lässt gerade der ehemalige Bannwald Wilder See immer sehr ehrfürchtig werden. Der Nationalpark ist sicherlich ein Kandidat, der für meine geplante „Selbstkreierte Tour“ ganz oben auf der Liste steht. Der darauffolgende Ausbildungstag fand auf dem Kaltenbronn statt, wo uns Kristina Schreier und Manuela Riedling Einblicke in die „Durchführung umweltpädagogischer Veranstaltungen“ gaben. Was sich hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt, sollten wir bald auf eindrucksvolle Weise erfahren. Die beiden Umweltpädagoginnen gaben uns einen vollgefüllten Werkzeugkasten an die Hand, dank dem wir fortan in der Lage sind, Kindern und Erwachsenen komplexe Zusammenhänge eingänglich und unterhaltsam zu vermitteln. Anschließend erklärten sie uns die Systematik und die klimarelevante Bedeutung des Kaltenbronner Hochmoores. Die Aspekte die mir dabei vermittelt wurden, haben bei mir eine Entscheidung ausgelöst, die rückblickend meine vorrausgegangene Entwicklung während der Ausbildung in logischer Konsequenz fortführt. Ich entschied mich, Klimabotschafter zu werden.
Die Ausschreibung für den Kurs zum Klimabotschafter, der vom Naturpark durchgeführt wird, sprang mir bereits vor einigen Wochen ins Auge. Durch alle bisherigen Ausbildungsinhalte zog sich ein Thema wie ein roter Faden: Der Klimawandel. Ein Thema, dem man sich nur ungern stellen mag, denn es hält einem stets einen ermahnenden Spiegel vor. Dabei ist es wichtiger denn je, über diese wohl größte Herausforderung in der Geschichte der Menschheit besser Bescheid zu wissen. Doch die Zeit für eine zehnmonatige Ausbildung zum Schwarzwald-Guide muss man sich als Berufstätiger mit zahlreichen Ehrenämtern und familiären Verpflichtungen erstmal nehmen können. Daran noch eine dreimonatige Ausbildung zum Klimabotschafter zu hängen gefährdet den Haussegen dann schon erheblich. Glücklicherweise bin ich mit einer sehr verständnisvollen Ehefrau gesegnet, die erkennt, wenn mir etwas ganz besonders wichtig ist und am Herzen liegt. Und die Ausbildung zum Klimabotschafter ist mir wichtig, da sie für mich die Ausbildung zum Schwarzwald-Guide abrundet. Das wurde mir im Hochmoor auf dem Kaltenbronn klar, wo es eine so unscheinbare Pflanze wie das Torfmoos schafft, Unmengen von CO2 zu binden und uns damit einen unschätzbaren Dienst erweist, ohne dass die meisten Menschen das überhaupt erkennen.
Der Frühling ging langsam in den Sommer über und der letzte „echte“ Ausbildungstag stand uns bevor. Danach standen nur noch die Prüfungsvorbereitungen an. Mit Stefan Krämer, vom Kreisforstamt Freudenstadt, ging es in den Wald rund um das Zinsbachtal. Nachdem wir in den zurückliegenden Wochen schon allerhand Wetterkapriolen durchgemacht hatten, erwartete uns an diesem Samstag ein wunderschöner Sommertag. Aufgrund der Tatsache, dass sich unsere Ausbildung langsam dem Ende zubewegt, empfanden wir schon etwas Wehmut. Das ließ uns diesen Tag aber umso mehr als Gruppe genießen. Es war förmlich zu spüren, wie wir unsere Gemeinschaft genossen. Herr Krämer war uns ein hervorragender Lehrer, der uns das Thema Forstwirtschaft mit großer Fachkenntnis und Leidenschaft vermittelte. Seine angenehme Art machten diesen Tag nahezu perfekt und er wird mir als einer der schönsten Ausbildungstage in Erinnerung bleiben.
Langsam hieß es, sich auf die bevorstehenden Prüfungen vorzubereiten. Diese bestehen aus insgesamt drei Teilen: Einer Hausarbeit, einer schriftlichen Prüfung, sowie einer praktischen Prüfung. Los ging es mit der Hausarbeit. Hier galt es, eine Tour mit verschiedenen Phänomenen zu konzipieren und im Detail zu planen. Also genau das, was ich ja noch auf meiner persönlichen To-Do Liste stehen hatte. Nochmals zur Erinnerung: Ich würde gerne eine eigene Tour konzipieren, die meine persönliche Note trägt und die es bislang so noch nicht gibt, sie soll meine Schwerpunktthemen berücksichtigen und es wäre schön, wenn sie im Nationalpark verortet wäre. Zwischenzeitlich war ich hier ein ganzes Stück weiter und hatte die Tour bereits geplant und habe sie im Zuge einer Vorexkursion genauer erkundet. Die Tour beginnt am Hotel Zuflucht, führt über den Buhlbachsee das Spaltbächle hinauf zum Lotharpfad und von dort dem Westweg folgend zurück zu Zuflucht. Eine absolut grandiose Tour in die ich alle Phänomene eingebaut habe, die ich gerne anderen Menschen vermitteln möchte. Es hat sich natürlich angeboten, diese Tour gleich in meiner Hausarbeit zu verarbeiten. Gesagt, getan und scheinbar hat meine Tour auch dem Prüfungsausschuss gefallen, denn diese erste Hürde hatte ich schonmal genommen. Zudem wurde mir die große Ehre zuteil, im Namen der anderen Kursteilnehmer bei der Zertifikatsübergabe nach bestandener Prüfung ein paar Worte sagen zu dürfen. Als man mich darum bat, musste ich schon etwas nachdenken, warum gerade ich das machen soll. Ich sah es als große Verantwortung, eine solch tolle Gruppe als einzelner repräsentieren zu dürfen und es hat mir hier und da auch einige schlaflose Stunden bereitet.
Doch nun gab es erstmal eine dreiwöchige Pause, die wir nutzen sollten um auf die bevorstehenden Prüfungen zu lernen.
Dazu standen natürlich jede Menge Unterlagen, Scripte und Literaturempfehlungen zu Verfügung. Vor dem Preis steht der Fleiß und man kommt leider nicht drumherum, auch etwas lernen zu müssen. Allerdings habe ich immer wieder die Gelegenheit genutzt, meine Lerneinheiten nach draußen ins Feld zu verlegen, wo ich versucht habe die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen. Mittlerweile war aus dem früheren Muschelkalkmeer welches diese Lücke einst darstellte, nicht mehr als eine kleine Pfütze übriggeblieben. Das spricht zumindest für einen gewissen Lernerfolg.
Bei mir begann zwischenzeitlich schon die neue Ausbildung zum Klimabotschafter. Das erste Ausbildungswochenende führte uns nach Bühlertal sowie zu verschiedenen Ausbildungsstationen in der Umgebung. Im Gegensatz zur Ausbildung des Schwarzwald-Guides konnten wir uns gleich bei der Auftaktveranstaltung persönlich kennenlernen. Es sind wieder viele interessante und spannende Menschen dabei und ich freue mich sehr auf die noch bevorstehenden Ausbildungswochenenden.
So zogen die Tage ins Land und es kam der Tag der Prüfung. Zuerst galt es in der VHS Freudenstadt die schriftliche Prüfung in Form eines Multiple Choice Tests zu absolvieren. Anschließend ging es ins Christophstal zur praktischen Prüfung. Wir waren alle in hervorragender Stimmung und bestens vorbereitet. So wunderte es auch kaum jemanden, dass wir alle die Prüfung bestanden haben. Wir waren und sind einfach eine phantastische Truppe. So haben wir auch kurzerhand die Gelegenheit genutzt, im Christophstal mit einem Picknick die bestandene Prüfung zu feiern. Melanie aus Oberkirch, die zudem an diesem Tag Geburtstag hatte, verwöhnte uns mit einer exklusiven Weinprobe. Jeder hatte irgendwas zu Essen, zu Knabbern und zu Trinken mitgebracht und so ließen wir den letzten gemeinsamen Tag in der Natur miteinander ausklingen. Vier Tage später bekamen wir dann im feierlichen Rahmen in der Geschäftsstelle des Naturparks im Haus des Gastes in Bühlertal unsere Zertifikate überreicht. Wir genossen die Feier und das wohl letzte Mal, wo wir alle in vollständiger Runde zusammenkamen. Genossen haben wir auch die regionalen Häppchen, die uns der Naturpark bereitgestellt hatte. Das Highlight war aber die Schwarzwälder Kirschtorte, die unsere Kommilitonin Janina aus Waldachtal mitgebracht hatte. Ihrem Opa gehört die Großkonditorei Pfalzgraf und er hat diese Torte extra für und gebacken – einfach toll.
Doch so richtig Wehmut mag bei mir trotz allem nicht aufkommen. Irgendwie bin ich mir sicher, dass wir uns nicht aus den Augen verlieren werden. Denn es sind auch richtige Freundschaften entstanden. Es war mir immer ein Bedürfnis die Menschen aus den verschiedenen Regionen im Naturpark näher kennenlernen zu dürfen um zu erfahren, welches Lebens- und Heimatgefühl sie mit ihrem Ort verbinden. Diese Erfahrung durfte ich nun während der Ausbildung zum Schwarzwald-Guide machen. Und ich durfte ganz viel von ihnen allen lernen – viel mehr, als ich es mir jemals erträumt hätte. Dank der hervorragenden Dozenten und der guten Ausbildung habe ich vieles gelernt um die Natur- und Kulturlandschaft des Naturparks Schwarzwald Mitte/Nord besser zu verstehen und um dieses Wissen an andere Menschen weitergeben zu können. Die besonderen Kurs-Teilnehmer und nun frischgebackenen Schwarzwald-Guides haben mich jedoch gelehrt, den Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord regelrecht zu atmen, ihn mit jeder meiner Poren aufzunehmen und dankbar dafür zu sein, dass auch ich ein Teil davon bin.
Hinweis: Ein großer Dank geht an meine Kommilitonin Sabine Zoller. Sie hat die Kurseinheiten unermüdlich fotografisch begleitet und alles dokumentiert. Ohne sie gäbe es nur halb soviel Bildmaterial, dass an diese Ausbildung erinnert. Ebenfalls haben Melanie Mässelhäußer und Roger Cornitzius ihre Fotos für diesen Bericht zur Verfügung gestellt. Auch Ihnen gebührt mein herzlicher Dank.